31 August 2007

Manche Leute, die auf Konferenzen darüber sprechen, wie man Dinge getan bekommt, täten besser daran, einem Papagei das Rülpsen beizubringen.

26 August 2007

Private Macht, Thyssenkrupp, Lobbyismus und Lüder Gerken

Im Kampf der Interessengruppen sei Lobbyismus, so sagen es Rechtsliberale und Marktradikale, ein "Ausdruck der offenen Gesellschaft".

Das mag sein - sofern a) die Stärke der jeweiligen Interessengruppen nicht allzu ungleich ist, b) die jeweiligen Lobbies ein Ausdruck tatsächlicher Interessen der Bevölkerung sind und c) bei diesem Prozess letztenendes die Interessen aller - in der Summe - einigermaßen fair gewürdigt und repräsentiert werden.

Tatsächlich (!) aber ist der Lobbyismus, wie er heute, z.B. in Gesetzgebungsverfahren der EU und des Bundes teils massiv Einfluss entfaltet, ein Symptom der Vermachtung der Gesellschaft.

Partikularinteressen wirtschaftlich Mächtiger erlangen in einen legislativen System, das gegenüber Lobbyismus kaum Widerstands- und Gestaltungskraft zeigt, Übermacht - einerseits gegenüber dem Gemeinwohlinteresse, andererseits gegenüber jenen, die als Normalbürger und "kleine Leute" über keine finanz- und einflusstarke Lobby verfügen.

Der Lobbyismus, wie wir ihn heute erleben, hat durchaus auch gute Seiten, allerdings dort, wo er selbst intransparent wird, kann man in der Summe von der Unterhöhlung der Demokratie sprechen. Ein Beispiel (übrigens auch eine schöne Recherchegelegenheit) ist das Wirken des "wissenschaftlichen" Lobbyisten Lüder Gerken, den ich dort, wo er als Wissenschaftler in Erscheinung trat, für einen wissenschaftlichen Betrüger halte, einen, der sogar die Ungeheuerlichkeit publizieren würde, dass die Vorstellungen von Hayek den Ordoliberalismus "weiterentwickelt" hätten.

Dazu muss man wissen: Ordoliberale haben das Denken von Hayek bekämpft. Die sogenannte "Vertragsfreiheit" ist in den Händen der Mächtigen in Wirklichkeit ein Instrument der Unfreiheit. Liberal ist also nicht derjenige, der für die Mächtigen stets mehr Macht und ungehemmte "Freiheit" fordert, frei von staatlichen oder demokratisch-gesellschaftlichen Regeln, sondern derjenige, der sich für den Schutz der Schwachen vor Übermacht einsetzt, und zwar genauso dann, wenn es sich dabei staatliche Übermacht oder um private Übermacht handelt.

Hier kehre ich zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen zurück: Solange Lobbyismus in erster Linie wirtschaftliche Übermacht repräsentiert, ist er erstens zur Transparenz zu zwingen, z.B. hinsichtlich seiner Geldgeber und Finanzierung, und zweitens ist sein Einfluss zu begrenzen. Im Fall von Lobbyismus geht um die Entfaltung privater Macht, allerdings auf assymetrische Weise.

Zu diesem ersten Punkt, der Transparenzerzeugung werde ich heute beitragen:

Es ist so, dass die einflussreiche und finanzstarke "Stiftung Ordungspolitik" und das CEP (angeblich überparteilich...) sich außerordentlich schwer tun, über ihre Geldgeber zu informieren. Sie sind als "Think Tanks" in erster Linie Beeinflussungsapparate. Für wen? In wessen Auftrag?

Nach meinen Recherchen fördert Thyssenkrupp die hayekianischen "Think Tanks" CEP, welches gezielt auf europäische Gesetzgebung einwirkt, die "Stiftung Ordnungspolitik" und die "Stiftung Marktwirtschaft" in erheblichen Ausmaß.

Das sollte kein Geheimnis bleiben.

Generalisiert man derartige Vorgehensweisen, analysiert man die Zwecke derartiger "Think Tanks" und ihrer bewusst unklar gehaltenen Finanziererung, und nimmt dafür weitere Beobachtungen hinzu, könnte man - teils sogar berechtigt - sagen:

Teile unserer ökonomischen Eliten versuchen in Dunkelmännermarnier die Demokratie zu unterwandern.

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23 August 2007

Nachschlag: Zu den Tarifforderungen der Lokomotivführer

Wir erinnern uns: Prof. "Sinn" verdammte die Forderungen der Lokomotivführer sehr scharf; mit, wie hier im Blog gezeigt, unzureichenden Argumenten. Seltsamerweise leidet Sinns wissenschaftliche Reputation nicht, wenn er sich in der Öffentlichkeit - getarnt - als Lobbyist einseitiger Arbeitgeberinteressen geriert.

Wer als Wissenschaftler (vor dem Hintergrund der den Lokführern tatsächlich gezahlten Löhne, die in den letzten 15 Jahren real sogar um knapp 10 Prozent sanken) vor "britischen Verhältnissen" warnt, also quasi vor dem Untergang des Abendlandes, der ist ein wissenschaftlicher Scharlatan.

Auch deshalb:

Bitte benutzen Sie die Begriffe "Gentrification" und "Prekarisierung" nicht in einem Text. Jedenfalls, wenn Sie eine Inhaftierung vermeiden wollen. Mehr Hintergründe hier.

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20 August 2007

Von "britischen Verhältnissen" und "deutschen Verhältnissen"

Hinsichtlich des Kampfes der Interessengruppen und ihren teils sehr raffinierten Strategien zur Interessendurchsetzung wird von Neoliberalen gerne behauptet, dass dies, naturgemäß und in allen seinen Erscheinungen zur "offenen Gesellschaft" gehöre - und somit nicht kritisiert oder gar reguliert werden dürfe. Oder aber, und das wird von Neoliberlalen noch vehementer verfochten, man meint, dass es die Aufgabe des Staates sei, "für die Wirtschaft" bzw. für ökonomische Interessengruppen einseitig Position zu beziehen.

Tatsächlich sind die Herren Sinn, Miegel, Raffelhüschen & Co sich furchtbar einig darin, und all die anderen Unterzeichner der "Hamburger Erklärung", dass sich der Staat nicht auf die Seite von Verbrauchern und Arbeitnehmern stellen dürfe - aber die Einzelinteressen ökonomischer Eliten und Großunternehmungen genau beachten solle. Wegen dem "Wirtschaftsklima" oder so. Abenteuerlich hohe Managerlöhne seien kein Problem, aber moderate Mindestlöhne würden unser Land in Abgrund reißen.

Streiken zu hoch bezahlte Ärzte (die als klassisch Priviligierte und "Leistungsträger" zu den Lieblingen der Neoliberalen rechnen), dann wird dies von Neoliberalen unterstützt, streiken hingegen unterbezahlte Lokführer, dann wird sogleich vor "britischen Verhältnissen" gewarnt. Was auch immer das sein mag.

Wovor ich mich hingegen doch etwas fürchte, das sind diese Verhältnisse, das ist dieser zutiefst verkorkste Zustand unserer Eliten, welche vor den Interessen der kleinen Leute und Normalbürger warnen, während sie auf deren Kosten für "Reformen" trommeln. Welche Gesetzestexte mit-formulieren, in denen es heißt, dass das Gesetz den Renditeinteressen der Produzenten und Erzeuger diene. Die sich für Partikularinteressen jederzeit kaufen lassen, z.B. für Interessen der Versicherungswirtschaft, und diesen offenen Betrug am Gemeinwohl in den Medien als "neutrales Expertentum" ausgeben.

Nicht die "britischen Verhältnisse" sind das Problem, das Problem sind die deutschen Verhältnisse.

18 August 2007

Vom Prinzip "starker Dekane" an deutschen Universitäten

Die sogenannte "Stärkung der Dekane" ist in meinen Augen ein Ausdruck eines sich immer autoritärer gerierenden Zeitgeistes, es ist unwissenschaftlich, organisatorisch unsinnig, und wie die ersten Erfahrungen zeigen, undemokratisch. So undemokratisch wie z.B. in Hamburg, wo Professoren inzwischen das freie öffentliche Wort verboten wird, damit die Stimme des Führers Dekans von keinerlei Zwischentönen getrübt wird.

Tatsächlich geht es bei der sogenannten "Stärkung der Dekane" an den Universitäten um das Führerprinzip, es ist Ausdruck eines falschen Denkens, welches die Rolle von autoritären Vorbildern überschätzt - und jeder, der Interesse an der deutschen Wissenschaftsgeschichte hat, sollte z.B. die Vorgänge im Jahre 1933 an der Universität Freiburg im Detail betrachten, damals, wo der Philosoph und Nationalsozialist Heidegger einen "starken Dekan" gab.

Die Vorzeichen snd andere - aber die Parallelität der Erscheinungen, auch im Detail, damals in Freiburg, heute in Hamburg, ist teils sogar höchst frappierend. Und es sind die gleichen Stimmen*, welche ein möglichst rücksichtsloses Wirtschaften ("Neoliberalismus") fordern, die auch kontraproduktive autoritäre Strukturen an den Universitäten einzuführen verlangen, welche auf Macht und Autorität setzten, statt auf Freiheit und Partizipation.

Das antidemokratische Denken greift um sich.

* Die Lobbyisten bzw. Bertelsmänner rund um das neo"liberale" CHE, z.B. der für seinen geistigen Dünnpfiff bekannte Herr Detlef Müller-Böhling, der Leiter des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), stehen für diese gedankliche Richtung, die eine Mixtur ist aus Autoritarismus, Rücksichtslosigkeit und einer sich elitär gerierenden Wirtschaftshörigkeit.

So gilt es im von Wirtschaftslobbyisten gesteuerten CHE tatsächlich als höchst erstrebenswert, wenn ein mächtiger Hochschulpräsident den jeweiligen einzelnen Fachbereichen den dort zu "wählenden" Dekan vorgibt! Führerprinzip. In CHE-Diktion liest sich das in etwa (d.h. leicht paraphrasiert) so: "
Der Präsident kommt durch die Zustimmung des Kuratoriums (Hochschulrat) und des Akademischen Senats in sein Amt. Der Präsident schlägt die Dekane vor, damit er auf der Ebene der Fachbereiche und damit er auf der Ebene der Fachbereiche und Fakultäten geeignete Partner für seinen Reformkurs findet. Die so Nominierten sollen dann von den Fachbereichsräten gewählt werden.
Bei den sogenannten "Reformen" geht es dann i.d.R. darum, Leistungen für die Lehre zu reduzieren, diese Lehre aber zugleich zu verbürokratisieren, und im Übrigen die Universitäten im Sinne angenommener Wirtschaftsinteressen zu gestalten.

Interessanterweise findet bei diesem angeblichen "Reform"-Prozess i.d.R. eine Umverteilung hin zu teuren und geräteintensiven Fächern statt, dazu ein angeblich "notwendiger" oder "unvermeidbarer" Abbau von Studienplätzen, sowie eine massive Verdrängung von Sozialwissenschaften, und zwar umso stärker, je gesellschaftskritischer diese sind bzw. sein könnten. Die Universitäten werden bei diesem Prozess, für den sich die
neoliberalen Irren des CHEs einsetzen, nicht etwa von der Nachfrageseite gesteuert, sondern, in einem Anfall von elitären Wahn, ausgerechnet von der Anbieterseite aus. Das geht nicht gut.

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17 August 2007

Bürokratischer Zyklus

Ich habe gerade meine zweite Wurzelbehandlung hinter mir. Keine große Sache, unangenehm war eher nur die Betäubung. Lustigerweise sind mir ursprünglich eingeplante Ausgaben in Höhe von 500,- € erspart geblieben (für die Wurzelbehandlung eines endständigen Zahns), weil die Regelungen, welche eigentlich die Patienten an den Kosten stärker beteiligen sollen, inzwischen so kompliziert und umfangreich sind, dass eine geschickte Auslegung zur Kostenvermeidung führt.

Blöderweise beschäftigen sich dann aber Arzt und Patient mit dem Bürokratiewust. Aber immerhin: 500 Euro gespart - ein guter Tag. Dabei ist mir ein Gedanke gekommen; vielleicht gibt es so etwas wie einen "bürokratischen Zyklus":

Bürokratische Regelungen, die einem Problem ohnehin nicht gerecht werden, neigen bei ihrer Weiterentwicklung dazu, von Schritt zu Schritt immer komplizierter zu werden, bis sie dann so kompliziert sind, dass sich kaum noch jemand an diese Regeln hält.

Es ist halt nicht einfach, ein Solidarsystem mit ungeeigneten Methoden, neoliberaler Gesinnung und auf Kosten der Patienten zu reformieren.

Bei der sogenannten "Gesundheitsreform" wurde in erster Linie eine Bürokratisierung erreicht, zu Lasten von Arzt und Patient, sowie eine zusätzliche Kostenbelastung der Patienten. Statt die Nachfragemacht zu stärken und im Gesundheitsmarkt echte (!) wettbewerbliche (Teil)Strukturen zu schaffen, hat man bei den "Reform"-Bemühungen eigentlich nur auf vier Punkte geachtetet. Unsere korrupten Eliten hatten offenbar nur vier Fragen:

1. Wie können Patienten - möglichst unsozial - an den Kosten stärker beteiligt werden, um die Arbeitgeber damit indirekt zu entlasten?

2. Wie kann man dies zugleich so gestalten, dass die Profiteure des Gesundheitsmarktes mit ihren Privilegien und übergroßen Einkommen (z.B. auf Basis überhöhter Medikamentenpreise) unangetastet bleiben?

3. Wie kann man den Reformvorgang möglichst bürokratisch, unsinnig und für die Patienten quasi "strafend" gestalten? (Hinweis: Das Strafen von Schwächeren ist ein geheimes Grundmotiv des Neoliberalismus)

4. Wie kann die Verbürokratisierung des Gesundheitswesens maximiert werden, während man die Nachfrageseite nicht (!) stärkt, aber den Anbietern von Gesundheitsleistungen möglichst jeden möglichen Wettbewerbsdruck erspart?

11 August 2007

Dann gibt es nur eins

Du. Autor an der Computertastatur. Wenn sie Dir morgen befehlen, du sollst rhetorische Bomben und Phosphor über die Städte tragen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Wenn Sie Dich schreiben lassen wollen, dass unsere Minderheiten zu dämonisieren sind, wenn sie Dich Unterdrückung und den nächsten Krieg herbeischreiben lassen wollen:

Sag NEIN!
(Quelle)

09 August 2007

Spreeblick wird abgemahnt

Ich halte das Abmahnunwesen (hier ein verschüchteter Spreeblick-Beitrag) in seiner derzeitigen Form, sofern es v.a. gegen die freie Meinungsäußerung gerichtet ist, für einen sehr ernsten, wesentliche Freiheiten stark einschränkenden Tatbestand.

Dass die konservative Politikerin Zypries immer noch keinen weiteren Handlungsbedarf sieht, zeigt auch, in welch schlechten Händen das Justizministerium ist, nämlich in Händen derjenigen, die sich bevorzugt für die sogenannte "wirtschaftliche Freiheit" interessieren. Für die ministeriellen Spießgesellen des deutschen Justizministeriums ist die Gewerbefreiheit die entscheidende Freiheit.

Und das schließt offenbar auch für äußerst fragwürdige Gewerbetreibende wie Primacall die "Freiheit vor Kritik" mit ein. Gingen derartige Abmahnungen zu Lasten der Gewerbefreiheit, so würde das Zypries-Ministerium hingegen umgehend und ohne jegliche Zögerung in Aktion treten, um derartige missbräuchliche Anwendungen des Abmahnrechts umgehend zu stoppen. Hier geht es aber nur um die Meinungsfreiheit und darum, das Verhalten von Firmen transparent zu machen. Was nebenbei angemerkt, auch für das Funktyionieren jeglicher Marktwirtschaft wesentlich ist.

Neben einer umgehenden Entmachtung von Zypries und ihren Staatssekreten würde ich es begrüßen - und auch finanziell honorieren - wenn es irgendwo in den deutschen Blogs eine Geldsammelaktion wegen der Primacall-Spreeblick-Abmahnung gäbe. Johnny hat bei der Auswahl seiner Werbekunden und seine BlogverwertungsWerbestrategie zwar Kritik verdient, aber er bzw. die Spreeblick KG sind finanziell sicher nicht auf Rosen gebettet.

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08 August 2007

Merkwürdigkeiten und ein Streik

Den geplanten Streik der Lokführer sehe ich zwiespältig. Einerseits: Nach Jahren der Entmachtung der Arbeitnehmerseite ist es zur Erreichung eines Kräftegleichgewichts (von dem wir weit entfernt sind) positiv zu werten, wenn sich gewerkschaftliche Forderungen auch einmal als durchsetzbar erweisen.

Andererseits: Der Eindruck entsteht, auch durch den Umfang der eingeforderten Lohnerhöhungen, dass die Lokführer ihre besondere, überproportionale Streikmacht missbrauchen, die unmittelbar an ihr Berufsbild gekoppelt ist. Sie treffen mit ihrem Streik, anders als andere Berufsgruppen, sehr viele andere Menschen. Eine angestrebte Einkommenssteigerung von 30 % ist übertrieben. Das gilt gleichermaßen für Lokführer wie für neoliberale Mammonvergötzer, welche z.B. eine EBIT-Rendite von "nur" 22,5 % als ernsten Anlass für eine umfassende Entlassungswelle betrachten.

Am Ende wird es mit einem Kompromiss enden und insofern: Der formulierte Einwand schwindet und es ist gut, gerade in seiner Beispiel gebenden Funktion, wenn sich Arbeitnehmerinteresssen - auch über einen Streik - einmal als durchsetzbar erweisen.

Interesant sind jedoch die überaus typischen Reaktionen der Öffentlichkeit. Der SPIEGEL beweist sich dabei erneut als Kampfblatt für die Reaktion - und überdies als gellend wahrheitswidrig, wenn dort "mik" bzw. der SPIEGEL-Journalist Michael Kröger heute, am 8.8., schreibt:
Einmischung in den Tarifkonflikt bei der Bahn gilt in der Politik als Tabu - nur gute Ratschläge sind erlaubt. Darum schert sich Bundesumweltminister Gabriel nicht mehr: Er stellt sich als erstes Mitglied der Regierung ausdrücklich hinter die Forderung der Lokführer. (...)
Indes: Das ist nicht wahr. Sofern man bei SpOn als Redakteure keine Deppen beschäftigt, welche außerstande sind, die Meldungen der eigenen Zeitung zum Thema zu lesen, ist hier von einer absichtlichen Lüge auszugehen, bei dem der SPIEGEL seine Publikationsmacht missbraucht: um gegen eine ihm missliebige Meinungsäußerung eines Ministers zu protestieren. Drei Tage zuvor, am 5.8., berichtete man nämlich bereits, diesmal wohlwollend, dass bereits ein anderes erstes Mitglied der Regierung sich in den Tarifkonflikt eingemischt hat:
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) warnte unterdessen vor einem Streik. (...) "Kommt es zu Bahn-Streiks, so schadet das der Wirtschaft und dem Ansehen Deutschlands. So macht man sich keine Freunde."
Aha. Das war also für den SPIEGEL in Ordnung. Und nun zu einem anderen Thema, ebenfalls typisch für den Zustand der deutschen Öffentlichkeit im Umgang mit Arbeitnehmerinteressen, nämlich die Reaktion von Professor Un-Sinn auf den Tarifkonflikt:
Ifo-Chef Hans-Werner Sinn nannte es ökonomisch verheerend, sollte sich die GDL mit ihrer Forderung nach einem eigenen Tarifvertrag durchsetzen: Deutschland würde damit einen weiteren Schritt in Richtung von Berufsstands-Gewerkschaften gehen, wie sie früher in England die Arbeitsmärkte beherrschten und die das Schlimmste seien, was einem Land auf dem Arbeitsmarkt passieren könne: «Denn sie neigen zu solch aggressiven Lohnforderungen, dass die wirtschaftlichen Aktivitäten der betroffenen Branchen so sehr abgebremst werden, dass selbst die Gewerkschaftsmitglieder in ihrer Gesamtheit den Schaden haben.» (Quelle)
Tja - so sieht also moderne Wirtschafts"wissenschaft" aus: Einseitig und radikal auf Seite des Arbeitgeberlagers. (Unsinn von Sinn hier vollständig)

Professor Unsinn, der zur Zeit lautesten Hupe der INSM-Propaganda, ist nicht aufgefallen, dass selbst bei voller Durchsetzung der Forderungen der Lokführer diese dann gerade einmal ein durchschnittliches (!) Gehaltsniveau erreichen. Allein die Tatsache, dass ein Streik mal wieder erfolgreich sein könnte, sowie der Wunsch der Streikenden nach gewerkschaftlicher Selbstorganisation, lässt den Herrn Unsinn vom drohenden Untergang des Abendlandes faseln. Nebenbei: Wenn bereits durchschnittliche Löhne für eine Berufsgruppe, so jedenfalls Herr Unsinn, dieser Berufsgruppe "in ihrer Gesamtheit" Schaden zufügen, müsste er dann nicht konsequenterweise für die Reduktion z.B. von hohen Managergehältern oder seines eigenen Professorengehaltes kämpfen?

Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang auch stellt, ist: Können niedrigere Entgelte für Wirtschaftsprofessoren verhindern, dass diese kontrafaktischen Unsinn verbreiten, zum Beispiel:
  1. "Großbritannien hat Deutschland beim Pro-Kopf-Einkommen deutlich abgehängt, (...)"
  2. "Die alten britischen Schwächen zeigen sich nun hierzulande."
  3. "Die Konkurrenz zwischen Anbietern von Komplementen tendiert hingegen dazu, die Preise zu erhöhen und die am Markt verkauften Mengen zu senken. "
Richtig ist: Übergroße Anbieter- oder Nachfragermacht hat i.d.R. schädliche Auswirkungen. Ist das bei den Lokführern der Fall? Nun, nimmt man deren Lohnhöhe als Maßstab, so sind sie - zumal gemessen an ihrer Ausbildung und Verantwortung - als untermächtig zu klassifizieren. Dass sie das ändern möchten, mag eines fernen Tages in gewerkschaftlicher Übermacht enden. Vielleicht - sehr wahrscheinlich ist das jedenfalls nicht. Und schon garnicht, wenn man sich als Wirtschaftswissenschaftler dazu äußert. Von "britischen Verhältnissen" bzw. übermächtigen Gewerkschaften ist man in Deutschland sehr weit entfernt - gestrost kann vom Gegenteil ausgegangen werden, nämlich von übersteigerter Arbeitgebermacht.

An einer anderen Stelle, wenngleich mit Bedacht nicht so formuliert, hat Professor Unsinn Recht: Gewerkschaften, die nicht berufsständisch organisiert sind, sondern als große Sammelgewerkschaft, sind nicht etwa mächtiger (was z.B. die Hoffnung von VERDI war), sondern oft ohnmächtiger - und damit schlechter geeignet, um Arbeitnehmerinteressen zu organisieren. Und das ist es, was Professor Unsinn möchte: Ohnmächtige Gewerkschaften. Besser noch: gar keine.

Wären eine Gewerkschaft tatsächlich so mächtig, dass sie als Einzelgewerkschaft "wie ein Monopolist" auftreten könnte, unfair und zu Lasten der Gesamtheit, dann wäre dies gesamtwirtschaftlich tatsächlich schädlich.* Jeder, der die Verhältnisse in unserem Land kennt, wird allerdings wissen (mit Ausnahme von Propaganda-Hupen wie Herr "Sinn"), erstens, dass von übermächtiger Arbeitnehmermacht in unserem Land kaum gesprochen werden kann und, zweitens, dass ein Wohlfahrt erzeugender Marktprozess, eigentlich sogar jeder Vertrag, etwas Besonderes voraussetzt: Nämlich die Gleichmächtigkeit der jeweiligen Verhandlungspartner.

Das implizite Leitbild der Neoliberalen, nämlich machtlose Arbeitnehmer und möglichst mächtige, von keinerlei Regelung gehemmte Arbeitgeber ist in jeglicher Hinsicht vermurckst. Es nicht geeignet zur Stellungnahme bei sozialen Konflikten, und es ist nicht einmal (stellt man sich dort den Arbeitsmarkt als simple Preis-Mengen-Funktion vor) geeignet, um sinnvolle Vorschläge zur Beschäftigungssteigerung zu machen.

Ein kleiner vorschneller Exkurs zum Niedriglohn-Dogma der Neoliberalen

Liebe Neoliberale, nun lest und staunt, euer Niedriglohndogma ist nicht nur unfair, sondern es vernichtet Anreize auf dem Arbeitsmarkt, und Qualität. Es entwertet den Faktor Arbeit - und sorgt auf diesem (Um-)Weg für eine niedrigere gesamtwirtschaftliche Produktivität. Denn dort, wo Menschen sich nur prekär mit Niedriglöhnen von Job zu Job hangeln, um sich damit gerade einmal über Wasser halten, dort bauen sich Qualifikationen deutlich schechter auf (nachweislich!). Dazu kommen - meist - schlechte Arbeitsbedingungen, sowie eine relativ geringe Arbeitsproduktivität. Warum? Da es für Arbeitgeber auf "billige Arbeit" bzw. billige Arbeitnehmer nicht so sehr ankommt, verkommt dort (unter anderem!) die Produktivität.

Die "Nachfrage nach Arbeit" seitens der Arbeitgeber steigt mit einem größer werdenden Niedriglohnbereich und dem Umfang prekärer Beschäftigung nicht (!) bzw. nicht so stark an, auch als Ergebnis dieses Entwertungsprozesses. Wer sich weit unterdurchschnittlich bezahlt sieht, fühlt sich i.d.R. weder an seine Tätigkeit, noch an seinen Arbeitgeber sonderlich gebunden. Die Arbeitsqualität und -produktivität verfällt. Dazu kommt, dass in Zeiten arbeitgeberseitiger Übermacht für Managerkreise eine gewisse Verführungssituation gegeben ist, nämlich, dass sie den ökonomischen Fortschritt ihrer Betriebe nicht durch verbesserte Faktorkombination, Innovationen, oder bessere kundenbezogene Leistungen zu erreichen suchen (also: Leistung), sondern bevorzugt durch Erpressung der eigenen Arbeitnehmer - z.B. hin zur entgeltfreien Ausweitung ihres Arbeitsumfanges.

Die Leistungen eines Betriebes werden damit aber nicht besser und der Wohlstand einer Gesellschaft nimmt durch Nutzung der Erpressungsmacht von Arbeitgebern nicht zu - im Gegenteil.

Die Anreizverminderung durch niedrigere Löhne kommt auch, gesamtgesellschaftlich durchaus übel, auf Seiten von Arbeitslosen, Langzeitarbeitslosen und "stiller Reserve" zum Tragen: Wenn bei diesen als "realistischer Weg" nur noch der Marsch ins Prekariat bzw. in den Niegrigstlohnbereich gilt, dann erodieren damit die notwendige Anreize, mit voller Kraft eine Beschäftigung anzustreben. Auch das ist messbar. Ich behaupte: Die Persistenz der deutschen Langzeitarbeitslosigkeit hat neben einer verfehlten Steuer- und Abgabenpolitik auch mit dem realen Lohnverfall der letzten 15 Jahre zu tun, besonders im (nur übel untersuchten) Bereich der Einstiegsgehälter- und löhne.

Liebe Neoliberale: Mit dem massiven Verfall von Anreizen und Löhnen schafft man keinen gesamtwirtschaftlichen Wohlstand.

* Mises-Schüler, Hayekianer sowie andere Anhänger der österreichischen Schule müssten hier, wollten sie in ihrer Theorie konsequent bleiben, allerdings auch im Fall monopolistisch wirksamer Gewerkschaften von den lobenswerten "Anreizen" einer Monopolsituation sprechen. *hihihi*.

Hinweis zu den Bildern: Der Dank für die CC-Bilder geht an Janissary und Bowbrick.

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06 August 2007

Wie geht es weiter mit diesem Blog? Bislang war es - auch in Reaktion auf Zeitumstände (die sich eigentlich nicht verändert haben) sowie auf eine für mich neuartige, abartige angeblich "prowestliche" Ideologie, sowie in Reaktion auf die Dummheit der Politik und die überbordende Dummheit von "Wirtschaftswissenschaftlern" wie Professor Unsinn prononciert linksliberal.

Das wird auch so bleiben - schließlich hat sich mein begrenzter politischer Horizont nicht wesentlich verändert. Aber die Schwerpunkte dieses Blogs werden sich ändern. Wenn es darum geht, sich in besonders linksliberaler Weise als Blog zu äußern, steht mein Blog nicht mehr allein, mehr noch, andere sind mir voraus. Es ist - in der politischen Bloglandschaft - einiges Gutes und Neues entstanden, was ich einerseits sehr begrüße, andererseits aber meine Stimme in gewisser Hinsicht - und auch in positiver Hinsicht - entwertet.

Die allgemeinpolitische linksliberale Bloggerei wird von meiner Seite daher ruhiger werden oder sogar ruhen, solange, bis wir uns wieder Wahlkampfzeiten nähern.

Ich werde ab jetzt versuchen, zwei Schwerpunkte zu pflegen, neben der "Theorie der Freiheit" vor allem einen ordnungspolitischen Schwerpunkt. Das hat einerseits mit meinen Interessen zu tun, andererseits auch damit, dass ich die unerträglich Seichtigkeit der heutigen Ordnungspolitik (und noch mehr: der sogenannten Wissenschaft davon) für verheerend halte, für wirtschaftlich schädlich, und mehr noch, für sozial verheerend.

Andererseits ist es so, dass ich heute beim Studium alter Klassiker, festgestellt habe, dass ich in Sachen Ordnungspolitik und ökonomischer Ordnungstheorie noch völlig am Anfang stehe. Dies gilt umso mehr, als mein Respekt vor Leuten wie Eucken inzwischen schwindet. Auch Eucken war befangen und eingefangen in den Fragestellungen und Frontstellungen des Tages - er richtete allzu sehr seine Betrachtung am Gegensatz zwischen a) Markt und b) Zentralplanungswirtschaft aus.

Nicht, dass das unwesentlich oder uninformativ wäre, aber mein Gefühl ist fast schon zur Gewissheit gereift, dass sehr wesentliche Fragestellungen der Ordnungspolitik noch nicht beanwortet, ja, noch nicht einmal deutlich genug gefragt wurden. Ich will endlich, zumal mein Lebenshorizont mit zunehmenden Alter schwindt, etwas Klarheit gewinnen, dazulernen - und vielleicht - kann ich eines Tages auch etwas beitragen. Eine Beitrag liefern zur Wissenschaft, zur Politikberatung und zu einem besseren Zusammenleben der Menschen.

Dagegen, dass dieses Ansicht vernünftig ist, spricht vieles. Einerseits der schlichte Umstand, dass ich davon noch weit entfernt bin. Andererseits auch meine Erfahrung, dass selbst simple Gedanken trotz offenkundiger Richtigkeit sich in der Regel nur schwer vermitteln lassen. Meist sind es im Bereich der Wirtschaftspolitik nur die allersimpelsten, oft derbe falschen, Gedanken, die Wirkungskraft entfalten können. Ein Jahrhundert wurde vertan, seitens fortschrittlicher politischer Kräfte, an dem primitiven Gedanken, allein der Austausch der Besitzverhältnisse (hinsichtlich sogenannter Produktionsmittel) würde die Lage der Lohnabhängigen und die Produktivkraft der Wirtschaft insgesamt verbessern. Oder aber, sogenannte "Liberale" behaupten, dass es einzig und allein auf das "Privateigentum", dessen "freie" Entfaltung sowie einen möglichst einflusslosen Staat ankäme, und, ja, sogar die Arbeitslosigkeit ließe sich mit derlei hochprimitiven Ideen wirkungsvoll bekämpfen.

Verzeihung: Die Koordinationsaufgaben der Wirtschaft, und daran gekoppelte Problematiken wie die Arbeitslosigkeit, werden nicht dadurch automatisch gelöst, dass man eine möglichst weite Regelfreiheit für mächtige wirtschaftliche Akteure und die Begüterten vergötzt. Sie werden allerdings auch nicht vom Gegenteil gelöst. Die Wahrheit ist deutlich komplizierter.

Mir ist heute bei der Eucken-Lektüre aufgefallen, dass beinahe alles (!) Wirtschaften in erheblichen Maß, jedenfalls unterschwellig, von Interessengegensätzen geprägt oder beeinflusst ist. Ich sehe hier einen entscheidenden Schlüssel. Beispiel: Der Obsthändler will nicht von allein, dass sein Kunde einen fairen Preis zahlt. Er will dies nur insoweit, als dass er in doppelter Hinsicht an ein sozial-ökonomisches Regelungssystem gebunden ist. Denn erstens, die Konkurrenz verhindert, dass er den Kunden einfach übervorteilen kann. Der Kunde würde einfach fortlaufen. Zweitens, eine Art "entwickelte Selbstverpflichtung" bzw. eine ökonomische "Selbstethik" hat sich bei ihm ausgebildet, dahingehend, dass er die Übervorteilung seines Kunden nicht mehr will.

Der zweite Punkt ist interessant, weil er ganz erhebliche Verhaltensanteile des Obsthändlers erklärt. So ist dieser Obsthändler, eigentlich überraschend, mit einer vernünftigen Marktordnung (die z.B. die notwendigen Eigenschaften der Ware präzis und restriktiv regelt), nicht nur sehr einverstanden, er achtet auch argwöhnisch darauf, dass die anderen Obsthändler sich ebenfalls an diese Marktordnung halten, welche im Wesentlichen nur dazu dient, die Übervorteilung von Kunden zu verhindern. Zudem entwickelt er i.d.R. eine Art "Berufsethos", sodass er einfach nicht bereit ist, halbverdorbene Ware zu veräußern, und zwar auch dann nicht, wenn er dies schadlos tun kann, ohne, dass ihm dadurch Kunden weglaufen.

Das Marktgeschehen ist ja nicht allein durch einen simplen Preismechanismus oder dem maximalen Eigeninteresse eines Homo Oeconomicus zu erklären, sondern auch - bislang reichlich unerforscht - mit einem "Wunsch nach Anständigkeit" seitens der Marktteilnehmer. Wobei die Anschauung, was als anständig gilt, Moden oder dem Wandel der Zeiten unterworfen sein kann. Aber genau dieses Element, das von Max Weber aus der christlichen Ethik herrührend interpretiert wurde, ist sehr entscheidend für die Funktionsfähigkeit von Märkten sowie die Fähigkeit von Marktteilnehmern, Interessengegensätze vernünftig auszugleichen. Märkte benötigen anständig agierende Akteure und Vertrauen. Es gäbe hierzu allerdings noch viel zu sagen, z.B. auch zum Einfluss von Ideologien auf Anständigkeitsvorstellungen. Ein weites Feld, ein schwankender Boden - und doch wichtig.

Während Eucken davon ausging, versimpelnd in meinen Augen, dass Ordnungssysteme schlicht nicht funktionieren können, wenn sie zugleich unterschiedlichen Ordnungsprinzipien folgen, womit er eine demokratische gesteuerter Zwangsverwaltungswirtschaft verwarf, frage ich mich gründlicher, und deutlich unsicherer, welche Voraussetzungen für eine erfolgreiche ökonomische Koordination notwendig sind.

Was ich beispielsweise interessant finde: Im Bereich der Monopolverwaltung (z.B. Müllabfuhr, Stadtentwässerung, Wasserwerke, Stromversorgung) haben kommunale Ver- und Entsorgungseinrichtungen - jedenfalls aus heutiger Sicht - oftmals einen besseren Job gemacht (d.h. Preisgünstigkeit der Leistungen, Versorgungsqualität und Versorgungssicherheit), als die "privatisierten" Betriebe, die heute auf dem gleichen Feld tätig sind.

Ich finde das überaus spannend - und noch mehr die Frage, woran das liegt. Nimmt man die Beispiele erfolgreicher öffentlich-rechtlicher Monopolverwaltung (nachfolgend örM genannt), und bedenkt man zugleich, dass es auf dem gleichen Feld auch zahlreiche Beispiele ineffizienter örM gab (z.B. unsinnige Klärwerksinvestitionen), dann frage ich mich, warum es so zahlreiche gut funtionierende Beispiele für örM gab.

Ich denke, dass dieser Erfolg der örM einerseits damit zu tun haben könnte, dass der größte Teil der Wirtschaft dem Wettbewerb unterzogen war - und damit zugleich, indirekt, die Arbeitstrukturen der örM mitprägte. Das bedeutet dann, dass örM Wettbewerb bzw. ein wettbewerbliches Wirtschaftssystem voraussetzt, und versagen würde, wenn der Umfang von örM in einem Wirtschaftssystem zu groß wird. Beispiele aus Italien bestätigen diese Interpretation. Dazu kommt - meine ich - die Frage des "inneren Geistes" einer örM.

Untersucht man erfolgreiche örM, so wird man dort immer wieder finden, dass es i.d.R. dort einen besonderen ETHOS gab, nämlich genau die Orientierung daran, dass man für die Bürger möglichst gute wie preiswürdige Leistungen erbringen möchte. Man könnte also von der großen Bedeutung der Corporate Identity im Bereich öffentlich-rechtlich erbrachter Leistungen sprechen. Diese sorgt - anders als im Fall z.B. privatisierter Wasserversorgung - dafür, dass der Interessengegensatz zwischen Kunde und Unternehmen halbwegs ausgeglichen wird, während ebendieser Interessengegensatz im Fall eines privaten Monopols schärfer und stärker zur Geltung tritt. (indes: ob das, was ich hier in groben Zügen beschrieben habe, so zutrifft, müsste im Einzelnen genauer untersucht werden)

Trifft dies zu, so lässt sich ein umgekehrter, vielleicht an dieser Stelle verblüffender Schluss daraus ziehen: Marktwirtschaftlich-wettbewerbliche Ordnungsgestaltungen sind grundsätzlich überlegen. Dann nämlich, wenn die Macht eines funktionierenden Wettbewerbsprozesses dazu führt, dass sich damit Interessengegensätze erfolgleich ausgleichen (bzw. im tatsächlichen Marktgeschehen nicht mehr ins Gewicht fallen).

Nicht alle ökomischen Bereiche haben allerdings souveräne, ausreichend gut informierte Kunden zur Grundlage, wo diese aus einer hinreichenden Vielzahl von Anbietern auswählen können - auf der Basis eines im Wesentlichen transparenten und fair wettbewerblichen Marktgeschehens. Hier gibt es zahlreiche Zwischenstufen der Marktverfassung, die bis hin zur völligen Marktzerrüttung reichen kann, oder, im schlimmsten Fall, bis hin zum Korporatismus.

Dort, wo sich korporatistische Strukturen (die Verbindung privatwirtschaftlicher Interessen mit öffentlich-rechtlichen Gestaltungen) oder sogar korporatistische Elitenstrukturen ausbilden, z.B. bei "private public partnerships", dort existiert nur höchst selten ein transparenter und selbstethischer (s.o.) Marktprozess. Meist ist hier der Wunsch maßgeblich, z.B. seitens sogenannter "Unternehmensberater", die öffentlich-rechtlichen Strukturen auf möglichst intransparente Weise gründlich auszunutzen - zu Lasten der Bürger. Hier gibt es weder echten Wettbewerb noch effiziente ökonomische Gestaltungen.

Auch dort, wo der "Kunde" im Entscheidungsmoment an Wissen und Souveränität seinem Verhandlungspartner unterlegen ist, wird sich keine geglückte Marktkoordination einstellen. Das betrifft weite Bereiche des Gesundheitsmarktes, bei dem es besonders verblüfft, wie wenig die Politik bereit ist, für Transparenz zu sorgen, wie wenig die Politik dazu bereit ist, dass die z.Zt. untermächtigen Nachfrager in ihrer Stellung und in ihrer Machtposition gestärkt werden, und wie wenig sie dafür zu sorgen bereit ist, die teils außerordentlich überhöhten Einkünfte privilegierter Teilnehmer dieses "Marktes" zu begrenzen.

Stattdessen bildet sich in der Späre der Politik immer stärker eine Interessenverflechtung ausgerechnet mit denjenigen aus, die zu kontrollieren und überdies transparenter Marktprozesse zu unterwerfen wären. Was aber stattdessen tunlichst verhindert wird. Ein Minister wie Seehofer, den ich persönlich für einen [bitte schmutziges Schimpfwort einbauen] halte, schämt sich nicht einmal, für die einzelwirtschaftlichen - und das Gemeinwohl bedrohenden - Interessen von Monsanto aktiv zu werden.

Das politische Zeitdogma scheint es zu sein, unbedingt etwas "für die Wirtschaft" tun zu wollen, koste es die Allgemeinheit was es wolle. Eine politische Tätigkeit ausgerichtet an den Interessen der Verbraucher, der Arbeitnehmer und der Bevölkerungsmehrheit scheint bei unseren politischen Eliten (zu denen man derartige Minister wohl rechnen muss) außerordentlich verpönt zu sein.

Die Ursache derartiger Fehlentwicklungen und fehlender Regulationen, wo diese notwendig wären? Rechtslibertäre politische Primitivlinge sehen als Ursache natürlich "den" Staat, aber tatsächlich handelt es sich um einen Ursachenbündel, angefangen damit, dass offenkundig immer unklarer ist, jedenfalls für unsere politischen Eliten, was die Aufgaben des Staates sind. Insofern leistet die angebliche "liberale", tatsächlich eigentumsradikale Ideologie der Nullerjahre einen erheblichen Beitrag dazu, (auch deshalb, weil sie die zur Zeit vorherrschende ideologische Elitenmode darstellt), dass die Funktions- und Regulationsfähigkeit des Staates schwindet.

Mir graust es gleichermaßen vor denen, welche hart verdiente Steuermilliarden v.a. der Arbeitnehmer für irgendwelche "Programme" verballern möchten, wie vor denen, die von morgens bis abends für "mehr Markt" und "Privatisierungen" bzw. "public private partnerships" krakeelen, ohne überhaupt jemals begriffen zu haben, unter welchen Voraussetzungen ein Marktgeschehen gut funktioniert. Am meisten aber graut es mir vor sogenannten "Wirtschaftswissenschaftlern", die jeden erfolgreichen Streik zum Untergang des Abendlandes erklären und im Übrigen, trotz des Misserfolgs der letzten 15 Jahre, die immer gleichen "Reformen" fordern, die immergleiche Begünstigung von Privilegierten,- und dieses Programm auch noch mit vermeintlicher "Wissenschaft" oder gar als "ordnungspolitisches Erfordernis" begründen.

+++ Update +++
Martins Beitrag in der Kommentarsektion ist interessant - und deutet für den Bereich der öffentlich-rechtlichen Monopolverwaltung einen Weg an, wie Monopole in einer Wettbewerbsordnung gehandhabt werden könnten. Einfach formuliert: Man spalte den Bereich in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft ab, der mehr oder minder zwangsläufig monopolartig organisiert sein sollte (z.B. Leitungsnetze), und regele dann die verbleibenden Bereiche so, dass sich dort ein freier Wettbewerb entfaltet. Doch besser, ich zitiere Martin selbst:
Ich glaube (ohne das wissenschaftlich belegen zu können), dass die Grenze, wo Privatwirtschaft unschön für die Gesellschaft wird, da liegt, wo allgemeine Infrastruktur (Strohmleitungen, Wasserrohre, Schienen, Straßen, Briefkästen, Telefonhäuschen, Sendemasten usw.) zum Überleben der Anbieter eines Marktes notwendig werden. (...) In dem Wesen dieses [Konflikts zwischen ] unvereinbareren Interessen, Marktvielfalt vs. sinnvolle Infrastruktur, sehe ich eine große Herausforderung für die Ökonomie der Zukunft. (...) Wenn es Besitzrechte geben muss, dann muss IMHO auch das Gemeinwesen welche besitzen. Ich glaube aber, dass wir genau auf dem Sektor in eine richtig üble Schieflage geraten sind. Denn die (...) Monopolprobleme ergeben sich nicht, wenn die Infrastruktur dem Gemeinwesen gehört.
Tatsächlich halte ich eine Rückbesinnung auf die Infrastrukturfunktion des Staates für überaus überfällig - und genauso dringend ist die Frage danach, wie die öffentlich-rechtliche Infrastrukturversorgung auf intelligente, den Wettbewerb unterstützende Weise geleistet werden kann. Zum Nutzen der Bürger - und nicht der Eliten.

05 August 2007

Ich weiß nicht, ob das "Wissenschaft" ist. Jedenfalls, ist das, was Franz Walter im SpOn zu W. Gebhardt (einem Ex-Parteivorsitzenden der FDP) zusammenschreibt, kein Journalismus. Nach zirka 80 Prozent des Textes brach ich die seichte Lektüre ab, genau an der Stelle:
"Für spaßgesellschaftliche Eskapaden war er nicht zu haben."

02 August 2007

Er wehrt sich. Nicht ohne jegliche Chance - aber sein Widerstand ist bereits im Schwinden. Ich finde: Solange er nicht hier gelandet ist, ist ihm noch nichts wirklich Schlimmes passiert.