29 Oktober 2006

Wissenschaft als Tarnungsmittel von Think Tanks

Einleitung

Die Ideen des Liberalismus zum Zeitpunkt seiner Entstehung (17. Jhd, teils zurückgehend auf Ideen des Erasmus von Rotterdam) basierten v.a. auf drei Prinzipien, "Sondereigentum" (bzw. Privateigentum) der Bürgerlichen - geschützt vor den Begehrlichkeiten des Adels, zweitens Herrschaft des Gesetzes und vor allem: Meinungsfreiheit. Die frühen Liberalen schätzen die Meinungsfreiheit extrem hoch - in der Hoffnung, dass sich dadurch die richtigen Ideen im Meinungskampf durchsetzen können.

Sie hofften auf die Durchsetzung des Wahren, Schönen und Richtigen.

Diese überaus bedeutende Hoffnung setzt jedoch etwas Entscheidendes voraus. Sie setzt neben offener Diskussion und Fairness voraus, dass die Beteiligten im Meinungskampf sich vom Streben nach Objektivität oder sogar Wissenschaftlichkeit leiten lassen.

An dieser Stelle setzen die Propagandafabriken bzw. Think Tanks an. Heritage Foundation, INSM (Initiative neue soziale Marktwirtschaft), American Enterprise Institute, Bertelsmann Stiftung, Cato Institute usw. Sie stellen sich mit ihrer "Politikberatung" zwischen Bürger und politischer Repräsentantion, liefern den Medien parteiliche Expertise und versuchen damit, die Agenda des öffentlichen Diskurses zu bestimmen.

Womit? Zum Beispiel mit "Analysen" bzw. politischen Argumentationsleitfäden oder sorgfältig ausgearbeiten Einwandbehandlungen, vermeintlich wissenschaftlich aufgepeppt.

Diskursmanipulation

Gezielt schmücken sich die meist rechtsgerichteten Propagandafabriken mit vorgeblicher Wissenschaftlichkeit. Sie nennen ihre Aktivisten Senior Fellows, Alumnis oder Scholars, sie nennen sich "Institut", mehr noch, sie beanspruchen für ihre Aktivitäten Wissenschaftlichkeit und halten sich für eine wissenschaftliche Institution.

Indes, sie betreiben das genaue Gegenteil von Wissenschaft.

Sie sind eben nicht auf die Produktion neuen Wissens orientiert, sie interessieren sich nicht für Objektivierung, sondern für die von ihnen promotete Ideologie und eine entsprechende Beeinflussung von Medien und Öffentlichkeiten. Ihre "Wissenschaft" besteht vielmehr darin, dass sie wissenschaftliche Erkenntnisse gezielt auswählen, sofern diese in ihre Ideologie nützlich erscheinen, während sie entgegenlaufende Erkenntnisse gezielt unterdrücken.
"Wie die Vorgaben zum Irakkrieg zeigen, wird hier weniger gedacht, als ideologisiert und propagiert. Mit Wissenschaft hat dies wenig zu tun, denn hier wird, analog zum Thesenjournalismus, nach Wissen gesucht, das die eigene Ideologie stützt, Wissen unterdrückt, das den eigenen Standpunkt in Frage stellt." (Quelle)
Sie manipulieren.

Ideologiegeleitete Wissenspromotion

Sie gehen mit Wissen und wissenschaftlicher Erkenntnis auf taktische, stalinistische Weise um. Sie betreiben "Wissenschaft" mit gezielten Weglassungen, Verdrehungen bzw. Spin. Gleichzeitig schmücken sie sich, i.d.R. sogar erfolgreich, mit ebendieser Wissenschaftlichkeit. Diese Taktik ist für Zwecke von "Think Tanks" ein großartiges und sogar mächtiges Feigenblatt, hinter dem sie ihre Agenda verbergen.

Jede Demokratie bekommt Probleme, wenn "Think Tanks" Richtung und Inhalt des öffentlichen Diskurs prägen können oder sogar sogar dominieren.

Das gilt besonders dann, wenn zwei Probleme hinzu kommen:

Erstens, wenn diese Think Tanks Informationen, Wissen und Wissenschaft in ihrer Tätigkeit verdrehen und verfälschen. Informationelle Umweltverschmutzung: Das ist unanständig und gefährlich.

Zweitens, wenn die Szene aus Think Tanks und Politikberatung in Wahrheit nur einen Scheinpluralismus darstellt. Wenn also Einzel- und Partikularinteressen den Diskurs unverhältnismäßig stark dominieren und die Gesamtheit dieser Szene also nicht - einigermaßen repräsentativ - die Vielfalt von Anschauungen der Bürger repräsentiert, sondern eine unverhältnismäßig eingeengte politische Agenda.

Dann wirken diese Propagandafabriken anti-plural und gegen eine offene Gesellschaft gleicher Bürger. Sie sind eine Pest.

28 Oktober 2006

Alle sieben Jahre: Illegale legalisieren!

Es sollte nicht weggeschaut werden, wenn Menschen im Elend leben oder brutal ausgebeutet werden. Der "Markt" löst gesellschaftliche Probleme nicht - wir müssen sie lösen. Daher bin ich dafür, alle sieben Jahre die bei uns lebenden "illegalen" Ausländer zu legalisieren. Zum Stichtag Deutschtest, zwei Jahre Berufstätigkeit nachweisen bzw. plausibel machen. Fertig. Wer Humanismus im Munde führt, der sollte damit m.E. keine Probleme haben. Eher ist es zuwenig.

26 Oktober 2006

Barack Obama ist der nächste US-Präsident (1)

Ich werde die nächsten Tage, auch für mich, eine kleine Obama-Serie veranstalten, mit dem Ziel, den nächsten amerikanischen Präsidenten näher vorzustellen. Zunächste weise ich auf ein paar gute Artikel hin: hier, hier, hier, und hier. Sehr informativ ist der deutsche Wikipediabeitrag.

So, und nun werde ich die berühmte Rede von Obama auf dem Parteitag der Demokraten im Jahr 2004 vorstellen (hier als 128k Stream), besonders die Teile, die mich beeindruckt haben oder sonstwie von mir für bedeutsam gehalten werden. Enjoy!
"(...) [My parents] imagined me going to the best schools in the land, even though they weren’t rich, because in a generous America you don’t have to be rich to achieve your potential."
Tatsächlich: Barack Obama ist der in eine Person gegossene amerikanische Traum. Gleichzeitig ist er der Albtraum der Neocon-Plage und anderer rechtsdrehender Extremisten. Fernab von deren Vorstellunge ist Obamas Vision von Amerika ein "generous America", welches sich massiv für Chancengleichheit einsetzt, gerade für diejenigen, die über kein Vermögen verfügen.
"Tonight, we gather to affirm the greatness of our nation, not because of the height of our skyscrapers, or the power of our military, or the size of our economy. Our pride is based on a very simple premise, summed up in a declaration made over two hundred years ago, “We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal."
Er sagt, Gleichberechtigung und Gleichheit kommen zuerst - sie sind die Basis der Nation.
"And fellow Americans—Democrats, Republicans, Independents—I say to you tonight: we have more work to do. More to do for the workers met in Galesburg, Illinois (....) more to do for the father I met who was losing his job(...) More to do for the young woman in East St. Louis, and thousands more like her, who has the grades, has the drive, has the will, but doesn’t have the money togo to college. Don’t get me wrong. The people I meet in small towns and big cities, in diners and office parks, they don’t expect government to solve all their problems. They know they have to work hard to get ahead and they want to."
Mit dem Etatismus-Vorwurf ist Barrack Obama als geradzu klassischer Linksliberaler nicht angreifbar - im Gegenteil. Er bevorzugt "smart government" und hält die Entgegensetzung von Markt vs Staat für ein ideologisches Verblödungsmanöver, das davon ablenkt, welcher Staat und welcher Markt angestrebt wird.
"Go into the collar counties around Chicago, and people will tell you they don’t want their tax money wasted by a welfare agency or the Pentagon. Go into any inner city neighborhood, and folks will tell you that government alone can’t teach kids to learn."
Siehe oben. Typisch für Obama ist es zudem, dass er Menschen, und zwar gerade den Normalbürgern, oft und gerne zuhört.
"I believe in the constitutional freedoms that have made our country the envy of the world, and i will never sacrifice our basic liberties nor use faith as a wedge to divide us."
Dieses Zitat, Verzeihung, habe ich leicht verändert; es war ursprünglich auf John Kerry gemünzt. Aber mehr als zu Kerry passt es zu den Überzeugungen von Barack Obama, welcher als ehemaliger Bürgerrechtsanwalt die von Verfassung garantierten Bürgerrechten sehr hoch achtet, und daher keineswegs bereit ist, diese im "Kampf gegen Terror" in den Dreck zu treten.
"For alongside our famous individualism, there’s another ingredient in the American saga. A belief that we are connected as one people. If there’s a child on the south side of Chicago who can’t read, that matters to me, even if it’s not my child. If there’s a senior citizen somewhere who can’t pay for her prescription and has to choose between medicine and the rent, that makes my life poorer, even if it’s not my grandmother. If there’s an Arab American family being rounded up without benefit of an attorney or due process, that threatens my civil liberties."
Diese Verbindung von Individualismus mit Gemeinwohlorientierung und sozialer Veantwortung ist typisch für das Liberalismusverständnis von Obama. Eine Beschränkung des Freiheitsbegriffs auf ökonomische Freiheiten plus ein paar Individualfreiheiten ist deutlich zu wenig.
-
Im nächsten Beitrag der Obama-Serie werde ich begründen, warum ich in Barack Obama den nächsten Präsidenten sehe. Mit Hillary Clinton sind die Demokraten nahezu chancenlos, Bill Richardson hat m.E. zuwenig Charisma, John Edwards taugt eher als zweiter Mann und Russ Feingold, hmm, gefällt mir zwar, aber ich denke, dass er kein sehr guter Redner ist.

Das Wort des Tages

Der Unaussprechliche prüft den Gerechten und den Frevler, und wer Gewalttat liebt, den verwirft er.

24 Oktober 2006

Pressefreiheit in Gefahr? Reporter ohne Grenzen 2006

Während Deutschland sich in Sachen Pressefreiheit einen heißen Zweikampf mit Bolivien liefert, auf im Übrigen vorzüglichen europäischen Niveau, kämpfen die USA deutlich abgeschlagen, eine Liga tiefer mit Ländern wie Botwana...

Tja: Die Tatsache, dass "prowestliche" Neocons die USA zum generell nachahmenswerten Vorbild erklären, kann schwerlich auf Freiheitsliebe zurückgeführt werden. Die autoritären, nationalistischen, religionsfundamentalistischen und militärkollektivistischen Strukturen sind m.E. das Ergebnis des amerikanischen Konserveratismus. Ich drücke den Amerikaner die Daumen, dass sie die unfreiheitliche Pest, bestehend aus Neokonservatismus, Terrorwahn, Militarismus und Fundamentalismus wieder los werden.

23 Oktober 2006

Der Mehdorn-Ausstellungsskandal

Der Vorstandsvorsitzende der Bahn AG möchte die Profitaussichten der Bahn nicht durch Erinnerung an den Holocaust beeinträchtigen lassen. Eine von Bundestag und Bundesminister befürwortete, bestens renommierte internationale Wanderausstellung möchte er um jeden Preis verhindern. Mehr Hintergründe hier. Ich bin fassungslos.

22 Oktober 2006

Französische Arbeitnehmer demonstrierten wegen Werksschließung bei Beiersd*rf

Fast unsichtbar und für unsere Medien uninteressant? 50 demonstrierende Franzosen reisten am Donnerstag, den 18.10. zur Konzernzentrale nach Hamburg, um gegen die Schließung der französischen Werke in Savigny-le-Temple zu protestieren. Nachlesen kann man es bislang nur in diesem PDF.

Die schwedischen Werke wurden vom Konzern schon abgewickelt, ebenfalls die niederländischen. Da wichtige Beiersd*rf-Aktionäre bzw. Tchibo gerade in Schwierigkeiten stecken, sind auch für den deutschen Standort harte Kostensenkungsprogramme zu erwarten. Wer im internationalen Benchmark der Produktionsstätten hinten liegt, den trifft es halt. Der Gewinn muss steigen.

US-Desaster im Irak: Ein Übersetzungsfehler?

Laut Al Dschasira und CNN hat der diplomatische Leiter der Irak-Abteilung im amerikanischen Außenministerium Folgendes zur US-Politik im Irak gesagt:
"... Wir haben versucht, im Irak unser Bestes zu geben. Aber ich glaube, es gibt viele Möglichkeiten Kritik zu üben, weil die USA zum Teil arrogant und dumm im Irak agiert haben. (...) Wir sind für einen Dialog offen, weil wir alle wissen, dass die Lösung für diese Hölle und die Morde im Irak letztlich von einer effektiven Aussöhnung der irakischen Volksgruppen abhängt."
Ergänzend kam von Herrn Fernandez ein Gesprächsangebot an alle bewaffneten Gruppen, mit Ausnahme von Al Kaida. Der US-Regierung waren diese offenen und eigentlich nicht sonderlich überraschenden Worte derart peinlich, dass sie dem Außenamtssprecher Sean McCormack eine Lüge in Auftrag gaben, und das ganze Interview mit Herrn Fernandez einen "Übersetzungsfehler" nannten.

Neocons haben ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit.



P.S.
Wer Songwritersongs und Country mag, findet hier, => kostenlos! <= den Sound of democratic America. Ich empfehle Nr. 217 ( nicht alle Songs sind Country- und Songwritersongs).

Sansibar und die Dauerhaftigkeit der politischen Lüge

Beim zufälligen Schmökern in Wikipedia lernte ich, dass im sogenannten "Sansibar-Helgoland-Vertrag" (1890) Sansibar nicht (!) an die Briten abgetreten wurde - im Tausch gegen Helgoland. Dieses Tauschmärchen ist vielmehr eine politische Lüge von Bismarck, mit der er die Ausgleichspolitik seines Nachfolgers (Leo von Caprivi) mit England abwerten wollte.

Lügen, politische zumal, können ganz schön lange Beine haben.

21 Oktober 2006

Ludwig Mises als Ideenlieferant

Ich halte vielfach angepriesenen Ökonomen Ludwig Mises (selbstredend ohne "von") im Prinzip nur für einen übergeschnappten Dogmatiker mit einer asozialen, sozialdarwinistischen und teils sogar faschistischen Geisteshaltung (wie vom Kommentator T.Albert schön belegt).

Das Kapitalismusverständnis des Ludwig Mises hat eine ideologisch-theologische Struktur. Mises predigt ein "reiner Kapitalismus stellt die beste aller möglichen Welten dar", in Verbindung damit, dass alle tatsächlich auftretenen sozialen, ökologischen und ökonomischen Probleme konsequent klein geredet, aufgehübscht oder ignoriert werden. Das ist, zumal in seiner lebensfernen und dogmatischen Zuspitzung, in etwa genauso bescheuert wie die Haltung von Linksradikalen, welche im kapitalistischen Prinzip "die schlimmste aller möglichen Vorhöllen" erkennen.

Man könnte diesen irren Ideologen also rechts liegen lassen und ihn Sektierern wie den eifrig bloggenden Neocon-Wirtschaftslibertären überlassen. Gegen Mises Ignorierung sprechen m.E. vor allem zwei Gründe:

Erstens ist dieser Ludwig Mises im Laufe der letzten Jahrzehnte, auch aufgrund der Bemühung rechsorientierter amerikanischer Propagandafabriken ("think tanks") zu einer Art Ersatz-Karl-Marx gereift, genauer gesagt, zu einem geistigen Leitstern rechtsgerichteter Sozialstaatsfeinde und Anti-Etatisten, nennen diese sich nun "liberal", "libertär" oder "konservativ".

Die Ideologismen des Ludwig Mises repräsentieren einen recht konsequent formulierten, urzeitlichen "Privateigentum ist primär"-Liberalismus, welcher heutzutage wieder Konjunktur hat, ja, sogar die Anschauungen unserer Eliten stark prägt und somit folgenschwer in Politik und Gesellschaft hineinwirkt.

Zweitens ist Ludwig Mises auch heute noch ein Lieferant origineller Ideen, die in geringfügiger Abwandlung von großem Wert sein können.

Exkurs Preisbildung und Lenkungsordnung

Mises formulierte in der Weimarer Zeit eine Idee, mit der er jeglichen (!) Sozialismus zu widerlegen glaubte. Er meinte, dass in einem sozialistischen Staat keine sinnvollen Verrechnungspreise möglich seien, und somit auch keine sinnvolle Planungssteuerung. Denn infolge nicht vorhandener Märkte gibt es in einer Planwirtschaft kaum noch zuverlässige Informationen über tatsächliche Knappheiten. Somit sei es in einem sozialistischen System unmöglich, Güterströme sinnvoll zu lenken. Jede sozialistische Lenkungsordnung ist infunktionabel, weil sie keine aussagefähigen Preise habe.

In dieser zugespitzten Form, wie sie Ludwig Mises formuliert hat, lässt sich seine Argumentation problemlos widerlegen, allerdings kann man die Mises-Argumentation so abschwächen, dass sie damit unangreifbarer, realistischer wird - und auch empirisch bestätigt werden kann. Zum Beispiel in dieser Form:

Tatsächlich leidet die Aussagekraft von Preisen, und damit die Funktionalität ökonomischer Lenkungsordnungen, je weniger die Preisbildung auf Märkten stattfindet - außerdem leidet die Preisbildung und die Allokationseffizienz ökonomischer Lenkungsordnungen auf schlecht funktionierenden Märkten, seien die Ursachen dieser Funktionsmängel nun Machtungleichheit, soziale Ungleichheit, externe Effekte oder ein zu hoher Staatsverbrauch.

Warum ist diese Aussage interessant, sogar überaus interessant? Man bedenke als Beispiel vier schwer wiegende Konsequenzen dieser Aussage:
  1. Erfolgt die Vertrags- und Preisbildung auf Märkten unter Bedingungen erheblicher Machtungleichheit von Vertragspartnern, so folgen daraus erhebliche Fehlsteuerungen, und dies desto mehr, desto stärker die machtüberlegenen Akteure dazu neigen, ihr Machtübergewicht auszuspielen. Um konkret zu werden, im Fall der z.Zt. großen Marktmacht deutscher Energiekonzerne dürfte diese Aussage unmittelbar überzeugen. Ein anderes Beispiel wäre die Lebens- und Arbeitssituation von Selbstständigen und Arbeitnehmern im Fall erheblicher Machtungleichheit, welche (jedenfalls ohne den Schutz durch einen starken Staat) recht schnell indiskutable Züge entwickeln kann.

  2. Ist die gesellschaftliche bzw. materielle Ungleichverteilung in einer Ökonomie allzu stark ausgeprägt, so zeigen die sich hier bildenden Marktpreise immer weniger tatsächliche ökonomische Knappheiten an, während sie tatsächlich desto stärker im Sinne ungleicher sozialer Verteilungen verzerrt sind. Man kann diesen Effekt beispielsweise auf dem Immobilienmarkt beobachten. Der Preisunterschied zwischen hochpreisigen "Reiche-Leute"-Lagen und "Arme-Leute"-Lagen wächst in einer Ökonomie mit zunehmender gesellschaftlicher Ungleichheit an und infolgedessen verfallen nicht nur die Preise von "Arme-Leute"-Vierteln, sondern auch die betroffenen Viertel selbst, und zwar auf eine durchaus irrationale Weise. Die ökonomische Lenkungsordnung wird also bei zu großer sozialer bzw. materieller Ungleichheit disfunktionabel. Dieser sehr wesentliche Zusammenhang gilt übrigens in besonderer Hinsicht auf globaler Ebene!

  3. Interne Verrechnungspreise staatlicher oder privatwirtschaftlicher Bürokratien führen umso stärker zu Fehlsteuerungen, je marktferner sie ausfallen. Beruhen Verrechnungspreise auf dem Vorbild schlecht funktionierender Märkte, resultieren hier ebenfalls Fehlsteuerungen.

  4. Je stärker der Staatsverbrauch den privaten Verbrauch verdrängt, zum Beispiel durch kostenintensive Rüstungs- und Geheimdienstprogramme (in den USA inzwischen 5% des BIP), umso geringer zeigen die am Markt gebildeten Preise tatsächliche ökonomische Knappheiten an.

    D
    ie Bürger eines Landes, das durch einen umfassenden (und zumal kaum wohlstandswirksamen) staatlichen Verbrauch geprägt wird, leiden nicht nur unter daraus resultierenden Steuer-, Abgaben- bzw. Schuldenlasten, sondern auch dadurch, dass sogar das Funktionieren des Preissystems beeinträchtigt wird.

    Hierbei ist allerdings auch die tatsächliche Struktur des Staatsverbrauchs zu beachten, also, inwieweit der staatliche Verbrauch marktnah bzw. wohlstandswirksam ist, und damit mehr oder minder verzerrend. Erfolgt die staatliche Nachfrage für an sich relativ marktnahe Güter, welche einen unmittelbaren und breiten gesellschaftlichen Wohlstandseffekt auslösen, z.B. für zusätzlich bereit gestellte Bildungsgüter, so hat diese Form von Staatsnachfrage einen weniger schädlichen Effekt wie beispielsweise eine Staatsnachfrage, die eine rein wertvernichtende Funktion ausübt, z.B. die Staatsnachfrage nach Rüstungsgütern.
Insofern ist die Kombination von mit Neoconnard-typischer Kriegs- und Rüstungsgeilheitsozialstaatsfeindlichen Anti-Etatismus an sich völlig hirnrissig. Leider ist dieses Denken aber zugleich relativ populär und wird z.B. durch die rechtsradikale AEI gezielt promotet, durch Publizisten wie den Tagesspiegel-Würgin usw. oder auch durch mehr oder minder "liberale" Blogger wie FDOG oder S-Tatler und Wald-Orf.

Wie eine Person zugleich das hohe Lied des Anti-Etatismus trällern kann, im Sinne einer Heilslehre, während sich die gleiche Person für den Rüstungskeynesianismus eines Bush und Reagan vollauf begeistert, das habe ich noch nie verstanden.

Vielleicht kann der latent autoritäre Charakter derartiger Protagonisten einen Erklärungsbeitrag liefern. Erkennbar wird diese innere Struktur eines autoritären Charakters z.B. an Indikatoren wie die lächerliche Papstbegeisterung, fundamentalen Ressentiments, einem primitiven Gut-Böse-Schema oder der in hochmoralisch-manichäischen Ton vorgebrachten Absolutierung des außenpolitischen Handelns einzelner Staaten.

19 Oktober 2006

Sadomasochismus im Wirtschaftsleben - ein Einzelfall

Bei einer Begegnung mit einem Ingenieur, der für das Site-Management eines Großunternehmens tätig ist, fiel mir auf, wie stark dieser kompetente und zugleich arme Mann die an Arbeitnehmer formulierten Ansprüche verinnerlicht hat. Kurzum: Richtig ist, was die Wirtschaft denkt. Andere sinnvolle Interessen gibt es nicht. Oliver akzeptiert das vollauf, er unterstützt dies mit Lust, auch dann, wenn es sich gegen ihn selbst richtet.

Dieser Ingenieur arbeitet im Regelfall 12 Stunden lang (von morgens 7:00 Uhr bis abends 19:oo Uhr), auf seiner Gesichtshaut zeichnen sich kleine, stressbedingte Neurodermitis-Flecken ab. Nur mit Not bekommt er seine Kinder noch aus den Kindergarten abgeholt. Oliver reagiert, ohne, dass ihm das bewusst ist, recht schnell aggressiv und gereizt.

Schildert Oliver seinem Chef, dass eine vorgegebene Zielstellung nur schwer realisierbar ist, bekommt er von seinem Chef i.d.R. eine Tempo-Packung gereicht, garniert mit den Worten: "Wollen Sie weinen?". Oliver findet das wirklich witzig. Nein, weinen will er nicht. Man muss hier im Jahr mindestens 115 Überstunden (unbezahlt) auf seinem Arbeitszeitkonto ansammeln, anderenfalls gilt man als faul bzw. als Underachiever. Wer sich beschwert, der kann gehen, und das ist richtig so. Meint Oliver. Was sein muss, muss sein. Woanders ist es ja auch nicht besser.

Stösst Oliver seinerseits auf Schwächere bzw. vermeintlich Schwächere, so zeigt er grundsätzlich Härte und Aggressivität, ja sogar die Vorstufe eines lustvollen Sadismusses. Er muss das ja auch aushalten. Drogenabhängige? In den Knast! Arbeitslose? Stütze runter! Belegschaften? Entlassen! Ziele müssen erreicht werden; alles andere wäre doch Quatsch.

Mir kommt das so vor:

Aus ungleichen Machtverhältnissen auf dem Arbeitsmarkt entstehen bei allzu großer Differenz auch Gewaltverhältnisse. Werden diese Gewaltverhältnisse mit Lust angenommen und akzeptiert, so kann auf beiden Seiten des Gewaltverhältnisses, gemäß der Organisationshierarchie bzw. sozialen Hierarchie, Sadomasochismus entstehen.

Vielleicht könnte man die Zunahme von Mobbing im Wirtschaftsalltag, zum Teil, als Ventil und Ausdruck sadomasochistischer Strukturen im Arbeitsleben betrachten. Vielleicht, sicher bin ich mir nicht. Ich bin mir aber sicher, dass ökonomische Machtungleichheit in destruktive Strukturen und Abläufe münden kann, bis hin zu Sadomasochismus in sozialen Beziehungen.

18 Oktober 2006

Verhandlungsführung a´la Lidl

Wer als Warenanbieter mit Lidl verhandelt, sollte sich darauf einstellen, dass die Lidl-Einkäufer in der Lage sind, 10 Stunden hintereinander zu schweigen. Sie kommen, sie sitzen und sie schweigen. Dann gehen sie wieder. Selbstverständlich wird mit voller Kraft zurückgeschwiegen.

(Rubrik: Wirtschaftssitten in Germany)

16 Oktober 2006

Vattenfall hat Angst vor Wettbewerb

Aus jämmerlicher Angst davor, dass der Staat im Strommarkt künftig für mehr Wettbewerb sorgt, droht Klaus Rauscher der Bundesregierung mit Investitionsstopp. Dies, obwohl Vattenfall in Deutschland ungerechtfertigte Milliardengewinne einfährt. Ich finde, es ist Zeit, die Strom-Monopole zu zerschlagen.
"Das Energierecht hat versagt, denn es kann dem Preisauftrieb offensichtlich keinen Einhalt gebieten.Weder Privatverbraucher noch Handwerk oder Industrie könnten mit den in Deutschland willkürlich hochgetriebenen Strompreisen leben." (Quelle)
Das Verhökern der Stadtwerke an Großkonzerne (bzw. die "liberalen" Privatisierungen) in den letzten Jahrzehnten haben sich als eindeutiger Irrweg erwiesen, als Weg ins Monopol.

Und nun die gute Nachricht: Die Norddeutsche Affinerie wird in Hamburg in Konkurrenz zu Vattenfall treten, und gemeinsam mit der Stadtreinigung in eine EBS-Stromproduktion investieren. Ein Lesehinweis zum deutschen Energiemarkt und seinen Perspektiven: Harald Schumann im Tagesspiegel.

15 Oktober 2006

Bericht von der NPD-Demo in Hamburg Wandsbek am 14.10.2006

Vorgeschichte (11.10.)
Dr. Dean sitzt in seiner Stammkneipe und wird von rechts von einem nervösen Typen mit Fanatikeraugen und tief schwarz gefärbten Haaren angesprochen. Sofort sprudelt es aus ihm raus:

Das doitsche Volk wird über den Krieg belogen, die Achtundsechziger haben das Land in eisernen Griff, man würde ihn für "reaktionär" halten, überall schädliche Gutmenschen, seine linken Lehrer haben sein Leben ruiniert, er möchte nach Australien auswandern um dort Postpilot zu werden, dank seines Psychiaters gilt er als arbeitsunfähig und überhaupt, dieser Günter Grass ist moralisch auf das Äußerste verkommen.

Ulrich stellte sich sodann als Blogger vor, als rechter Aktivist, es ist schlimm, wie er von den Linken im Spiegelforum verfemt wird, Kapitalismus ist eine gute Sache, Oswald Spengler ist sein intellektueller Held, und, räusper, er würde in seinen diversen Blogs ja nun tatsächlich provokante faschistische Inhalte verbreiten. Sehr stolz ist er darauf, dass "wir", also er und seine Freunde, "vier Stunden lang" die Webseite von Polylux abgeschossen haben. Nein, er kommt nicht hier aus der Gegend.

Er tat mir leid. So wie es aussah, war es bei ihm ein bislang tragisch sinnlos verbrachtes Leben, das sich tief in seine Augen und sein Kopf eingebrannt hat. Ein Leben zumal, dass sich nur aus seinen Feindbildern heraus definiert, und kaum aus ihm selbst als Person. Ulrich wirkte auf mich wie ein Christian Worch in Kleinformat, wie ein aktiver Kameradschaftler, der die lokale Bevölkerung in Augenschein nehmen wollte. Keine Ahnung, ob er wirklich Kameradschaftler ist.

Nach dieser etwas merkwürdigen Begegnung fragte ich mich, was da genau los ist. Kurz gegoogelt und - Aha!

Faschistische Kameradschaften und die NPD riefen für den 14.10.2006 zur "Großdemo" in Wandsbek auf. Da ich an diesem Tag, entgegen meinen ursprünglichen Absichten, in Hamburg war, wollte ich diese Mistbrüder mal in Augenschein nehmen.

Der Aufmarsch der Wandbeker NPD (14.10.)

10:50 Uhr:
Überall in der Umgebung beachtliche Mengen an Polizei, aber kaum Neonazis in Sicht - außer diese kleine popelige Gruppe vor einer Plus-Filiale, bestehend aus einem gestikulierenden Typen mit einem schlecht sitzenden grünlichen Anzug sowie ein Haufen beachtlich hässlich aussehender Jugendlicher. Das sind sie? Wo ist Worch? Ist das alles?

11:15 Uhr:
Sie werden nicht mehr. Die ziemlich genau 20 NPD-Heinis und -Gabis gucken derweil ziemlich geknickt aus der Wäsche, sicher nicht nur, weil es mindestens doppelt so viele Fotografen gibt, die sie umkreisen. Ich mustere Person für Person in diesem hooliganisken Haufen, und deutlich öfter als gedacht machen diese auf mich den Eindruck von Zukurzgekommenen und Frühverwelkten. Sie sehen unglücklich aus, lachen nicht (Ausnahme Foto rechts), ihre Hosen weisen zumeist tiefe, vom tagelangen Tragen überdeutlich speckige Falten auf. Wenig überraschend wäre es, wenn der eine oder andere sich jetzt spontan die Hose einnässen würde.

11:45 Uhr:
Jetzt kommt Bewegung in die Szenerie. Weitere Polizeikräfte rücken an, um die nur dürftig zahlreichen Anhänger der NPD Wandsbek (bzw. NPD Hamburg - vermute ich mal) vor Konfrontationen mit den zahlreichen Gegendemonstranten zu schützen. Der Demowagen der NPD fährt vor, dessen Plane in Militärfarben, und die wenig zahlreichen Neonazis watscheln daraufhin in Reih und Glied, ja sogar in Kolonnenanordnung dem schlecht sitzenden Anzug hinterher, herüber zum Demowagen.

Sie entfalten ihr Transparent, auf dem sie, unbehelligt von der Hamburger Polizei, verfassungsfeindliche Parolen (Bild) verkünden, z.B. "Fuck ZoG - Fight Back" (ZoG ~ Zionist occupied Government). Die wenigen vorhandenen Anwohner, die in der Nähe dieses Haufens waren, kamen i.d.R. aus dem Plus-Markt. Beginnend mit einer ca. 45 Jahr alten weißhaarigen Dame rufen sie den Neonazis sofort "Nazis raus!" und "Schämt euch!" laut entgegen.

Einer der Jung-Nazis versucht, mit den Anwohner zu kommunizieren, indem er ihnen sein "Arbeit!"-Schild (inkl. irgendwelchem nationalen Gefasels) entgegenstreckt. Sogleich bekommen er und seine verlotterten Neonazi-Freunde von den Anwohner zu hören: "Geht arbeiten!", "Arbeit! Super Idee, geht arbeiten! Raus aus unserem Stadtteil!" und "Ja, genau, ihr sollt mal arbeiten gehen!". Der Jung-Nazi lässt sein Schild sogleich wieder sinken. Derweil werde ich von NDR-Inforadio interviewt und spotte dort über die Neonazis.

Danach radle ich in Richtung S-Bhf. Hasselbrook, um auf dem Weg dorthin eine aus dem LIDL-Markt kommende, völlig verängstigte Gruppe von Anwohnern zu beruhigen und an den Polizeiabsperrungen vorbeizuleiten, in denen sie sich eingeschlossen sahen. "Wo sind denn die Neonazis?" wurde gefragt, als die drei Hausfrauen wieder mutiger wurden und "Sind das Neonazis?". Nein, diese schwarz gekleideten Leute, die sich am S-Bhf. Hasselbrook versammelt haben, sind keine Neonazis, bekamen sie erläutert. "Aha!"

Warten in Hasselbrook (14.10.)

Hunderte von AntiFa-Aktivisten warteten am S-Bhf. Hasselbrook nervös auf die angekündigten NPD-Demo. Zunächst umsonst. Je nach Gerüchtelage zogen größere Gruppen wieder ab, nervös die von der Polizei sorgsam abgesperrte NPD-Demo umkreisend, oder kamen wieder. Es fiel auf, wie gering der Anteil der Ortskundigen war.

Der Dönermann im S-Bhf., der sich über die geringe Zahl der Neonazi-Aktivisten sehr freute, bekräftigte derweil, "Ich mag die Jungs,... ich meine natürlich die Gegner der Nazis!" Insgesamt ist die Szenerie am S-Bhf. Hasselbrook sehr friedlich, die Hammer Bürger gucken neugierig aus den Fenstern, einige begaben sich auch auf die Straße, teils sogar mit Kinderanhang, um die erwarteten Neonazis protestierend zu empfangen. Doch nichts tut sich, wenn man mal vom ständigen nervösen Hin-und-her-laufen der AntiFA-Gruppen absieht.

Verblüfft war ich allerdings, dass einige der jüngeren AntiFa-Anhänger Londsdale-Kleidung trugen! Aber gut, ich wurde aufgeklärt: Dies hänge mit dem deutlichen antirechten Kurs der Firma Londsdale zusammen. Mir wurde berichtet, während ich gemütlich im Straßencafé wartete, dass es wegen linker Krawallkids in Höhe Ritterstraße Wasserwerfereinsatz gab, sowie anschließend brennende Mülleimer und idiotischen Vandalismus in den Nebenstraßen. Dort kam es u.a. zu Schlägereien zwischen AntiFa und Antideutschen. Die Hamburger Morgenpost berichtet (ein guter ausführlicher Bericht von Wiebke Strehlow) sogar von einer Plünderung des lokalen Penny-Marktes, (Korrektur 17.10.) was allerdings eine Fehlmeldung darstellt. Außerdem haben die berichteten "Straßenschlachten" einen eher folkloristischen Happeningcharakter mit Polonaise auf Seiten der AntiFa und i.d.R. rücksichtsvollen, nur sachte schubsenden Polizeibeamten.

Schlägereien zwischen AntiFa und Antideutschen? Der berichtende AntiFa bekam höchstselbst Schläge ins Gesicht und wurde von den Antideutschen als "Volksdeutscher" beschimpft, weil er zusammen mit anderen den Anwohnern half, das angerichtete Chaos wieder aufzuräumen. Im Übrigen berichtete er vom AntiFA-Erfolg in St. Pauli, bei dem er beteiligt war, wo man ein Nazi-Veranstaltungszentrum verhindern konnte, nicht zuletzt deshalb, weil die übrigen Hausbewohner dem ursprünglich vermietungswilligen Vermieter kollektiv mit Mietminderung drohten.

Hamm/S-Bhf. Hasselbrook, 15:00 Uhr
Immer noch keine Neonazis in Sicht. Allerdings sollen sie sich seit ca. 13:00 Uhr von 20 Stück auf rund 170 vermehrt haben. Ursprünglich wurden nämlich von der Polizei in Bergedorf rund 100 anreisende Neonazis festgehalten, aber diese konnten dann doch bis zur "Großdemo" weiterreisen.

Bewertung

Unter anderem wegen der sehr gründlichen (und notwendigen) Absperrung der Nazi-Demo, vermute ich mal, dass viele Gegendemonstranten vom Verlauf des Samstags frustriert waren. Die Neonazis dürften jedoch noch deutlich frustrierter gewesen sein, zumal sie es wieder einmal kaum in die Medien geschafft haben.

Interessant war in Hamm v.a. das Verhalten der Antideutschen, welche neben Eskalation darauf zielten, die linke Gegendemonstration zu diskreditieren und der AntiFa im wortwörtlichen Sinn ins Gesicht schlugen.

Die Antideutschen agierten in Hamm wie eine NPD-Helfertruppe.


Soweit meine Eindrücke. Mehr gibt es bei Indymedia und beim Kiezkicker (mit kurzem Video). +++ Update (19.10.) +++ Weitere Berichte gibt es bei RP mit Bildern, bei Meat sucks und sehr schön von Mister Madonna.

Elitenförderung vs Begabtenförderung

Ein ehemaliger Spitzenmanager von Siemens-Nixdorf unterschied beim gestrigen gemeinsamen Bier spontan wie präzis zwischen Eliteförderung [1], Begabtenförderung [2] und Privilegiertenförderung [3]. Die Eliteförderung in unserem Land laufe allzusehr auf Privilegiertenförderung hinaus, auf die Förderung also derjenigen Schichten, welche diese Förderung nicht benötigen.

Unsere Gesellschaft benötigt Begabtenförderung statt Privilegiertenförderung.

Als Beispiel dafür: Ein großartiger Mediziner und Sozialpolitiker wie Rudolf Virchow (Bild), der von den Nationalsozialisten systematisch angefeindet wurde (u.a. wegen Virchows Schrift: "Gegen den Antisemitismus", 1880), hätte ohne die Begabtenförderung des preußischen Staates keine Chance gehabt. Rudolf Virchow wurde mit einem staatlichen Stipendium in der Pépinière ausgebildet, welche sich an Kinder aus weniger begüterten Haus richtete.

Die Bereitschaft der deutschen Wirtschaft, sich an der Begabtenförderung benachteiligter Schichten zu beteiligen, ist indes zumeist extrem gering, und dies, obwohl sie in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit hiervon stark profitieren könnte. Ich zitiere Gerhard Roth aus Quelle [2]:
Sollte die Bereitschaft dazu in der Wirtschaft vorhanden sein, dann entwickelt sie sich nur sehr langsam - um es positiv auszudrücken. Der deutschen Wirtschaft ist offenbar nicht genügend klar, daß Begabtenförderung mehr ist, als ein Praktikum bei Siemens anzubieten - und dass die überwiegend staatlich finanzierten Institutionen der Begabtenförderung für die Unternehmen ungeheuer viel leisten. Diese Haltung steht im krassen Gegensatz zu der Tatsache, daß viele führende Unternehmer ehemalige Studienstiftler sind. Das Engagement der hiesigen Wirtschaft steht in keinem Verhältnis zu dem, was etwa in den USA geleistet wird.
Ich vermute, dass die etablierten Einfluss- und Wohlstandseliten Deutschlands ihre gesellschaftlichen Vormachtpositionen durch eine umfassende, die ganze Gesellschaft einschließende, Begabtenförderung bedroht sehen würden.

Insofern macht es rechtsgerichteten Wirtschaftsbossen wie z.B. Stefan Quandt (welcher seinen Milliardenbesitz u.a. Verbrechen der Nazis verdankt) oder Josef Ackermann deutlich mehr Freude, sofern sie überhaupt als Mäzene auftreten, an Stelle von Menschen und Bildung eine für sie i.d.R. harmlose und überaus schmückende Kunstszene zu fördern. Konsequent.

14 Oktober 2006

Frage: Bericht zum Neonazi-Aufmarsch in Hamburg erwünscht?

Den Aufmarsch der Neonazis in Hamburg habe ich heute aus der Nähe verfolgen können. Einige skurrile Eindrücke haben sich hier ergeben, zum Beispiel in Bezug auf die Hässlichkeit jüngerer Neonazi-Frauen, heftige Reaktionen der Anwohnerschaft u.a.

Liebe Leser und Leserinnen: Soll ich dazu einen Bericht ins Blog stellen, inkl. Fotos? Oder soll ich lieber einen Bericht zum Gespräch mit dem Vorsitzenden des Seeheimer Kreises verfassen?

12 Oktober 2006

Der Kommerz, die PR und das Bloggen - vom Pfeifen im Wald

Die PR-Szene ist in Bezug auf das Bloggen schizophren.

Da gibt es einerseits Superwichtigtuer, die im Stil zugekokster Egomanen behaupten, dass die Blogosphäre in ihrer Gesamtheit eine völlig vernachlässigenswerte "Winzszene" sei. Ein Beispiel für diese Haltung ist der Lars-"Du bist Deutschland"-Cords, der wegen seinem Frust über Blogs auf Podien herumtrötet, dass "99,99 Prozent" aller Blogs nichts als Klowand-affiner Müll seien. Anders gesagt, diese PR-Profis haben ein massives Problem, nämlich:

Ein PR-Problem mit Blogs als unabhängige, kleinteilige und nur schwer beeinflussbare Bürgeröffentlichkeit.

Die andere Hälfte der PR-Spezialisten, soweit diese sich mit Blogs beschäftigen, bejubelt Blogs als angeblich steuerbare, potente Kommunikationskanäle. Zum Beispiel so*:
"Brands have a big opportunity to become part of the conversation by listening and developing programs."
Dieser implizite Machbarkeitsglaube, der Glaube daran, man könne die Blog-Szene im Sinne mächtiger Wirtschaftsinteressen recht einfach funktionalisieren, ist ein eklatanter Irrtum. Denn es gibt hier weder eine "big opportunity", und schon garnicht gibt es funktionierende "programs" zur Erreichung typischer PR-Kommunikationsziele.

Und das ist gut so. Tja, die lügenhafte PR-Szene weiß, abgesehen von Blog-Monitoring, noch nicht, wie sie mit Blogs umgehen soll. Sie tappt im Dunkel. Auch Kai und Chat haben hierzu Überlegungen angestellt.

*selbstverständlich wurde dieser Link anonymisiert.

06 Oktober 2006

Leseempfehlung: Axonas zu Solidarität und Bloggen

Hier!

Ich hebe (obwohl es bei diesem guten Artikel viel zu wenig ist) diesen Satz heraus, weil er auf einen m.E. äußerst entscheidenden Punkt hinweist:
"Wenn den Menschen nicht mehr klar ist, daß Recht ein kollektives Gut ist, wenn sie den Eindruck gewinnen, es wird von denjenigen als Waffe genutzt, die Geld haben, dann entsteht eine Beschädigung des Rechtskultur."
Diese Art der Beschädigung, welche durch das Abmahnunwesen angerichtet wird, ist recht verheerend, denn sie erzeugt schon heute ein Ausmaß von Verunsicherung und Duckmäusertum, das wir in einer Demokratie nicht wünschen können. Das Abmahnunwesen begünstigt eine inakzeptable Ungleichverteilung von Information, und bedroht sogar das Funktionieren demokratischer Öffentlichkeiten.

Man mag dabei einwenden, dass die deutsche Blogosphäre klein, recht unbekannt und somit unbeutsam sei, aber auch dieser öffentliche Raum verdient Schutz und faire Behandlung,- und dies umso mehr, weil die Blogosphäre eine Bürgeröffentlichkeit darstellt, eine Öffentlichkeit der einfachen Leute und der Normalbürger, und mehr noch, einen notwendigen kulturellen Raum.

(via Wirres)

Deutschlands Kleinstaaterei ist zurück! Zur aktuellen Status der Reformbemühungen im Gesundheitswesen

Dass Deutschlands Kleinstaaterei dank Murksel Merkel zurückgekehrt ist, war mein Gedanke, als ich in SpOn beim Frühstücken diesen Satz las:
"Wie zuvor die CSU stellt jetzt auch die NRW-CDU die im Kanzleramt erzielte Einigung unter Vorbehalt."
Unfassbar. Sogar diese sagenhafte Ulknummer , äh, Jahrhundertreform im Gesundheitswesen wird von jedem einzelnen CDU-Landes-Chef unter Vorbehalt gestellt, je nach Berechnungstätigkeit seiner Länderbehörde oder Temperatur des Badewassers. Hey, CDU:

Was ist das für eine verschissene Art, Politik zu machen?

Andere Bloggerstimmen dazu finden sich hier, hier und hier. Im Übrigen weise ich auf ein gutes Vorbild aus den USA hin, den False Claim Act, sowie meinen Artikel Empowering Competition, der für Hayek-Hasser und für diejenigen interessant ist, welche sich ein besseres und günstigeres Gesundheitswesen wünschen.

05 Oktober 2006

Neoliberale Denkfehler (2) - Der Markt als angeblicher Garant der Chancengleichheit

Es erstaunt mich immer wieder aufs Neue, dass Neoliberale bzw. entschiedene Wirtschaftsliberale/Wirtschaftslibertäre in entscheidenden Fragen ihres Weltbildes so auffällig wenig Bereitschaft haben, reale Verhältnisse zu betrachten. Ein typischer neoliberaler Dogmatiker würde einen Eckstein seiner Ideologie in etwa so formulieren:
"Es wurde bereits erörtert, dass die anonymen Kräfte des Marktes unaufhörlich aufs Neue bestimmen, wer Unternehmer und wer Kapitalist sein sollte. Die Verbraucher entscheiden sich sozusagen für diejenigen, die die herausragenden Stellungen im Rahmen der Wirtschaftsstruktur der Gesellschaft einnehmen sollen."
Was für eine schrille und realitätsfremde Idee! Es habe also dank der "anonymen Kräfte des Marktes" sowie der "Verbraucher" ein jeder die exakt gleiche Chance, "Unternehmer" bzw. "Kapitalist" zu sein. Nein, sowas! Womöglich stimmt das aber doch (!), dies aber nur dann, wenn wir uns eine marktorientierte Gesellschaft denken, in der es kein Eigentum, keinen Grundbesitz bzw. keine stark ungleichen Ausgangsbedingungen gäbe...

Also, liebe Leser: Neoliberalismus ohne Eigentum bzw. Kapitalismus ohne Kapital - das könnte vielleicht funktionieren (*kicher*).

Ansonsten aber muss gefolgert werden, dass Freiheit und die dafür grundlegende (hoffentlich einigermaßen gegebene) Chancengleicheit in einer Gesellschaft nur möglich sind, wenn diese Gesellschaft nicht ausschließlich nach kapitalistischen Interessen formiert ist*.

*, sondern vorzugsweise am Allgemeinwohl, der nicht nur rein wirtschaftlichen Wohlfahrt seiner Bürger sowie einer hinreichend fairen Verteilung dieser Wohlfahrt.

04 Oktober 2006

Linksliberale Sachbuch-Charts Oktober 2006

Hier.

P.S.
Keine Atempause! Geschichte wird gemacht.

02 Oktober 2006

Sind Siemens-Manager Naivlinge?

Wenn SIEMENS dieser Tage verlauten lässt, dass BenQ seine Versprechungen gebrochen habe, so ist das reichlich seltsam. Manager, die ansonsten telefonbuchdicke Verträge verfassen lassen, behaupten jetzt, wo sie vom PR-Desaster überrascht wurden, dass man sich von BenQ getäuscht sieht:
"Uns wurde versichert, dass die Standorte in Deutschland erhalten bleiben und sogar gestärkt werden. Dieses Versprechen wurde gebrochen. Wir prüfen alle juristischen Schritte gegen BenQ (...) Unser Ziel war immer, für das Siemens-Handy-Geschäft eine solide Zukunft zu schaffen. Dafür haben wir finanzielle Mittel, Patente und sogar unsere Marke Siemens zur Verfügung gestellt"
So naiv, wie sich die SIEMENS-Manager dieser Tage geben, sind sie nicht. Hätten sie die deutschen Standorte erhalten "und sogar gestärkt" sehen wollen, so hätten sie genau dies in die Verträge geschrieben.

Es ist ein erbärmliches Schauspiel, das SIEMENS dieser Tage liefert.

(Noch erbärmlicher ist allenfalls die Unfähigkeit von bloggenden Halbliberalen mit FDP-Parteibuch, dieses üble Foul auf Kosten der Mitarbeiter angemessen zu kommentieren)

Gedanken zur Wirtschaftsordnung

Die sogenannte "freie" Marktwirtschaft macht nicht automatisch "frei", sondern in ihr realisieren sich in nicht geringen Maß Macht- und Vermögensinteressen, und zwar sehr gern auch zu Lasten von Schwächeren!

Dies aber kann auf gesamtgesellschaftlicher Ebene nicht funktionieren. Ein guter Manager ist daher nicht rücksichtslos, sondern er kennt seine gesellschaftliche Verantwortung, auch deshalb, weil er und sein Unternehmen keine Inseln sind, sondern auch sie und ihr Erfolg sind eingebettet in den gesellschaftlichen Rahmen.

Ein gutes Gegenbeispiel zu SIEMENS ist übrigens die Norddeutsche Affenerie. Ich werde in den nächsten Tagen etwas zu diesem erfolgreichen Großunternehmen schreiben.

Es geht auch anders.

Ludwig von Mises war ein Faschist

Wie kaum ein anderer zeigte der Wirtschaftsdogmatiker Ludwig von Mises, dass sich neoliberale Positionen und Faschismus bestens miteinander verbinden lassen. Denn: Ludwig von Mises war ein bekennender Anhänger des italienischen Faschismus. Für ihn, wie so viele Wirtschaftsliberale Ende der dreißiger Jahre, stellte der Faschismus der ideale Garant des Privateigentums dar.

Die tiefe historische Schuld der Rechtsliberalen kann garnicht wegdiskutiert werden. Die Vorgänger der heutigen FDP (Nationalliberale) waren, sogar oft, finanzierende Steigbügelhalter des deutschen Faschismus bzw. sie unterstützten die Hitler-Bewegung über ihren großen Einfluss in der Presse.

Schlimmer noch: Mit ihrer Ignorierung der Interessen der Schwachen, der kleinen Leute und Normalbürger haben sie Hitler die Anhänger zugetrieben. Vorsicht! Die Gefahr besteht auch heute, in einer Zeit, in der sozial Schwache und Arbeitslose öffentlich "Schmarotzer" oder gar als unrettbar "nutzlos" aufgefasst und bezeichnet werden.

Spricht man heutzutage ein typisches FDP-Mitglied (testweise!) darauf an, dass "die Leistungsträger in Deutschland vom Staat unerhört ausgebeutet werden" oder darauf, dass "wegen der vielen Sozialschmarotzer der Sozialstaat zu teuer ist", so sollten die Reaktionen darauf die Augen öffnen, wie "liberal" viele dieser Parteigänger tatsächlich sind, Leute, welche tatsächlich allein Klientelinteressen von Gut- und Bestsituierten vertreten.